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GERLINDE THUMA

Blau Gelbe Galerie Zwettl

6. – 28. März 2021

mit einem Kunstgespräch zur Ausstellung, das schriftlich aufliegt

Gabriele Baumgartner (Kuratorin und Kunsthistorikerin) mit Gerlinde Thuma

BLAUGELBEZWETTL

Propstei 1, 3910 Zwettl

Fr., Sa., So. 14 – 18 Uhr

 

Kunstgespräch zur Ausstellung:

Gerlinde Thuma im Gespräch mit Gabriele Baumgartner anlässlich der Ausstellung zeiten schichten parallel

GB: In dieser Ausstellung zeiten schichten parallel konzentrierst du dich auf Wiedergaben von Verdichtungen, Aufzeichnungen von Schattenspielen verschiedener Bäume, künstlerische Analysen der pazifischen Luftschichtungen, die du bei deinem Aufenthalt in Chile beobachtet hast und die du anhand von Skizzen später noch einen Schritt abstrahierender auf die Leinwand übertragen hast. Den dritten Raum widmest du schließlich deinen Cyanotypie – Arbeiten, die während deiner Aufenthalte in Schweden und Südafrika entstanden sind.
Bevor wir allerdings auf die einzelnen Werkgruppen näher eingehen, möchte ich dich allgemein um ein paar Worte zu deinem Ausstellungskonzept hier in Zwettl bitten, da die Auswahl dieser Werkserien eine bewusste Entscheidung war. Sehr gerne möchte ich auch deine Worte zur Ausstellung voranstellen:

zeiten schichten parallel Das alles ist ein Bemühen, Dimensionen von Zeit zu fassen – die Spanne und die Spannung zwischen zwei Zeitpunkten anhand eines greifbaren Gegenstandes zu thematisieren, Gegebenheiten in Relation zu setzen, Beziehung und Entsprechung zu formulieren. Im Sog des sich und die Mittel Wiederholens lässt sich Zeitlichkeit in Sprache und Materie übersetzen. Die teilende Linie in der Fläche ist die Achse, an der das aufeinander folgende zum stillstehenden Moment angehalten und versinnbildlicht wird. Im Prozess selbst schichtet sich Entstehen. Thuma

GT: Die Auswahl der Arbeiten und das Thema der Ausstellung nehmen Bezug auf eine meiner bevorzugten Arten Inhalte zu generieren und Umsetzungen zu realisieren. Ich verlasse das Atelier gerne, um mit anderen Sichtweisen dahin zurückzukehren. Die Serie Schattenwind ist in Wind und Schatten rund ums Atelier in Nö entstanden, Küstennebel während einer Residency in Chile am Pazifik, die Cyanotypie während eines Projekts in Südafrika und zuletzt an der Küste in Schweden im Rahmen eines AIR Monats in Örnsköldsvik 2019. Die entstandenen Serien waren bisher nur zum Teil oder gar nicht in Ausstellungen gezeigt. So habe ich mich entschlossen in Zwettl über die Auswahl der Exponate auch die Erinnerung und die Möglichkeiten zu vergegenwärtigen, die spezifische Orte des Entstehens mit sich bringen.

GB: Grundzüge deiner Arbeitsweise und Denkansätze sind eine abstrahierte Visualisierung natürlicher Elemente und Begebenheiten, die deine besondere Wahrnehmung und Interesse generiert haben und die du auf dem Bildträger als Momentaufnahme und Erinnerung konservierst. Deshalb möchte ich gerne den Ausspruch des Naturforschers und Entdeckers Alexander von Humboldt (1769 – 1859) anführen, dessen neue Erkenntnisse auch eine Änderung der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Landschaft bedeutend prägte: „Die Natur muss gefühlt werde“. Inwieweit können seine Worte auch auf deine künstlerische Herangehensweise und Verständnis übertragen werden?

GT: Wenn ich mich hinaus begebe, um speziellen Orten und Phänomenen nachzuspüren, tauche ich unter die sichtbare Oberfläche und in zeitliche Abläufe ein.

Das Ziel sind daher nicht Erscheinungsbilder der Natur, sondern das Erfassen von Wesenszügen und Prozessen, für die ich vor Ort oder dann im Atelier Konzepte und Techniken zur Visualisierung entwickle, um das Erspürte und – unter Einsatz der Spiegelneuronen – Wahrgenommene zeichnen und zeigen zu können.

GB: Mit einem Arbeiten in der Natur mit seinen Gegebenheiten wie Wind, Lichtverhältnisse und Luftfeuchtigkeit, einem Einlassen auf diese äußeren Einflüsse, ändert sich natürlich auch die Wahrnehmung des Motivs. Viele deiner Arbeiten entstehen als „Skizze“ und sozusagen als status quo inmitten der Natur. Im Atelier überträgst du viele dieser Aufzeichnungen und Momentaufnahmen noch einmal auf einen Bildträger. Deine im zweiten Raum gezeigten Arbeiten „küstennebel chile“, deren Ursprung bei deinem Aufenthalt in Chile 2010 entstanden sind, hast du im Atelier schließlich die Aufzeichnungen in das große Format auf Leinwand übertragen.

Inwieweit verändert und entwickelt sich bei diesem weiteren Arbeitsprozess auch noch einmal die Wahrnehmung oder Empfindung deiner Skizze?

GT: Der Abstand zwischen dem Erleben vor Ort und dem Umsetzen im Atelier ist ein wichtiger Raum für Reflektion. Beim Arbeiten im Freien steht man inmitten viel größerer Dimensionen und Kräfte. Die Konzentration in Wind und Licht und Weite des Raumes zu finden und zu halten ist sehr

fordernd. Es ist leichter aufzunehmen als wiederzugeben, im Sinne von Übertragung beispielsweise auf das Zeichenblatt. – Im Atelier ist man in einem geschützten Raum, in dem die Sinne nicht von gefühlt unendlich vielen Faktoren gereizt sind. Hier wird gesichtet und analysiert und weitere Be- und Verarbeitungsmöglichkeit hinterfragt, auch um beispielsweise nochmals ganz gezielt hinaus zu gehen und vor Ort Prozesse weiter zu treiben.

GB: In diesem Zusammenhang muss sofort auf deine Arbeiten der Serie „schattenwind“ eingegangen werden. Du hast beobachtet, dass der Schatten und die Bewegungen der Äste, der unterschiedlichen Baumarten divergieren und sich so auch andere Formen und Striche ergeben. Wie bist du dabei vorgegangen und welche Erkenntnisse hast du daraus gewonnen?

GT: Die unterschiedlichen Arten der Bewegung von Äste im Wind zeigt sich deutlich an der Bewegung des Schattens, den sie werfen. Die Bewegung wird von der Zeichenhand aufgegriffen und quasi seismographisch aufzeichnend aufs Blatt gebracht.

Bei der Serie Schattenwind entsteht also zuerst die Kohlezeichnung: unter dem Baum stehend wird die Bewegung des Schattens mit gezeichnet, die Äste bewegen sich je nach der Eigenschaft des Holzes, wie Biegsamkeit und Festigkeit im Wind, die Hand wird in ähnliche Anspannung gebracht und schwingt parallel und synchron mit.

Im zweiten Schritt im Atelier fällt die Entscheidung für die Farbe der Baumart, deren Töne von Licht und Schatten. Anhand der Zeichnung als Erinnerungskonzentrat wird die Graphik auf die Leinwand übertragen, indem meditativ die Bewegung der Äste – ihre Gesten – mitgeschwungen werden.

GB: Einen ähnlichen Ansatz widerspiegelt deine Serie „Entsprechungen“. Das Einladungskartenmotiv und im ersten Raum werden Arbeiten dieser Werkgruppe gezeigt. Der offensichtliche Dualismus spielt in dieser Werkgruppe eine entscheidende Rolle, wird doch die auf Leinwand übertragene Naturwahrnehmung in der oberen Hälfte der Leinwand, durch eine Wiedergabe der Konzentration in der unteren Hälfte auch für den Betrachter als Doppelsicht deutlich. Wie entwickelst du diese Arbeiten der Werkgruppe und wie gehst du dabei vor?

GT: Die Fläche der dunkleren Hälfte des Bildes wird zuerst angelegt – es entsteht ein „Schauraum“ von Strukturen und Räumlichkeiten. Mit etwas zeitlichem Abstand und frischem Blick tauche ich in diese Vorgabe ein, um darin durch Assoziationen und Einbildungskraft ein verbindliches Zeichnen zu extrahieren. Dabei geht es um Phänomenologien des Hineinsehen und Heraussehens – um das Provozieren und Projezieren von inneren Bildern. Oft nach Tagen des Herauskristallisierens fällt die Entscheidung zu einer Form, die in der zweiten Bildhälfte zur Entsprechung dessen wird, was in der ersten Grundfläche seinen Ursprung hatte.

GB: Im Gegensatz zu den Übertragungen im Atelier, entstanden deine im dritten Raum präsentierten Cyanotypien während deiner Aufenthalte in Pretoria, 2015, und in Schweden, 2019. Wie bist du dabei vorgegangen das Licht – mit Hilfe von Cyanotypie – dieser Orte auf dem Bildträger Papier zu konservieren? Warum wähltest du die Technik der Cyanotypie?

GT: Cyanotypien sind Kooperationen mit des Sonne des jeweiligen Ortes! Während des Belichtungsvorgangs in der Sonne in Südafrika wurde die lichtempfindliche Schicht partiell abgedeckt – sozusagen beschattet – um mit Licht und Schatten auf dem Papier zu zeichnen.

In Schweden habe ich Fotos von gleißendem Sonnenlichtreflexen auf Wasser bearbeitet und

als Negativ auf das lichtempfindliche Papier gelegt, um das Sonnenlicht nochmals im Prozess einzubeziehen: indem die späte Midnightsun ihre eigenen Darstellung der Reflexionen des Lichts auf Wasser nun selbst belichtet und sichtbar macht.

GB: Wie relevant ist für dich die Rolle des Betrachters während des Entstehungsprozesses deiner Arbeiten? Wird dieser bis nach der Beendigung und dem Abschluss deiner Arbeit ausgeklammert und erst bei einem Präsentieren der Ergebnisse auf seine Reflektion eingegangen?

GT: Bei den Entsprechungen manipuliere oder provoziere ich grundsätzlich dahingehend, die Grundlage meiner Form der Entsprechung in der dunklen geschlossenen Grundfläche zu suchen und zu finden – den Ursprung des Zeichens ebenfalls zu sehen. Das spielt aber beim Arbeitsprozess keine Rolle, es forciert mich nur in meiner Entscheidung der Formfindung aus der Fläche heraus sehr sicher zu sein. Ein fiktives Auge eines außenstehenden Betrachters ist aber während der Arbeit nicht vorhanden, da die Konzentration auf die Arbeitsprozesse dem eigentlich keinen Raum lässt.

Bei der Präsentation der fertigen Arbeiten außerhalb des Ateliers baut sich bei mir eine kritische Distanz auf – das Hängen der Exponate und Zeigen einer Ausstellung ist dabei ein eigener Prozess, bei dem dann die Reaktion des Publikums zum Tragen kommt.